Neue Musik

Ich bin Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder Text zu sein: Man hat keinen Sinn. Man wirkt hier und da aus dem Zusammenhang gerissen. Oft wird man gar nicht erst gelesen. Aber bin ich deshalb ein schlechter Text? Ich weiß, dass ich nie die Chance haben werde, im Stern zu erscheinen. Aber bin ich darum weniger wichtig? Ich bin blind! Aber ich bin gerne Text. Und sollten Sie mich jetzt tatsächlich zu Ende lesen, dann habe ich etwas geschafft, was den meisten „normalen“ Texten nicht gelingt.

Es ist wirklich ein hartes Los, Blindtext zu sein. Üblicherweise fülle ich lediglich einen Raum mit Buchstaben aber eigentlich fühle ich mich zu Höherem berufen. Ich will ein besonderer Blindtext sein, ich will Ihnen im Gedächtnis bleiben. Sie sollen Ihren Enkeln von mir erzählen, dem Blindtext, den Sie seinerzeit lasen und der Sie mehr fesselte, als viele Bücher, die Sie sich bis dahin gekauft hatten, nur, um dann festzustellen, dass diese große Menge von Sinntext für Sie auch nicht mehr Sinn ergab als ein Blindtext, wie ich es bin. Welch eine Enttäuschung!

Da ist es doch sicherlich viel besser, von vornherein darauf vorbereitet zu sein, dass der Text, dem man gleich seine Aufmerksamkeit schenken wird, absolut keinen Sinn ergibt, weil er gar nicht dazu vorgesehen ist, einen Inhalt zu transportieren. Blindtexte sollen nun mal Text nur darstellen. Aber – bin ich deshalb weniger wert? Sagen Sie ehrlich Ihre Meinung. Finden Sie, dass ich keine Daseinsberechtigung habe, nur weil ich keinen Sinn ergebe? Immerhin ist es mir doch gelungen, Sie bis hierher zu fesseln. Sie lesen ja immer noch. Ich bin stolz! Ich habe erreicht, was viele Texte vor mir nicht vermochten. Ich habe Sie interessiert. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!